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Botschaften aus Babel: Claire-Lise Buis (clb)

Erika Tophoven über ihr Leben als Übersetzerin in Paris

Reiche Wortschätze

Bis 1989 lebte Erika Tophoven in Paris. Jetzt blickt die Übersetzerin zurück auf vierzig Jahre kreative Tätigkeit und Begegnungen mit faszinierenden Autoren. 

1956 kamen Sie nach Paris. Der Anfang von „Glücklichen Jahren“?

Der Titel des Buches weist auf das Theaterstück „Glückliche Tage“ von Samuel Beckett hin. Mein Mann, schon seit 1949 in Paris sesshaft geworden, hatte bei unserer ersten Begegnung im Herbst 1956 ein Hörspiel von ihm in der Tasche („All That Fall“) und stand vor dem Problem, von dem jahrelang auf Französisch schreibenden Autor auch englische Texte übersetzen zu müssen. Ich kam aus München mit meinem Übersetzerdiplom. Von Literatur hatte ich wenig Ahnung. Ein paar Wochen später waren wir bei Beckett. Das war der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit.

Was war zu dieser Zeit an Paris so reizvoll?

Das literarische Französisch musste ich mir zuerst aneignen. Nicht zufällig wohnten wir in der „Rue des écoles“ also „Straße der Schulen“ im Studentenviertel Quartier Latin! Paris war insgesamt ein Ort der Innovation. Neue Wege wurden in der Literatur gesucht – insbesondere in dem sogenannten „Neuen Roman“ von Autoren wie Nathalie Sarraute oder Alain Robbe-Grillet.

Diese Autoren haben Sie dann übersetzt.

Wie konnte man das Besondere, Neue im Umgang mit der Sprache, das jeweils Autorspezifische in der eigenen Sprache zum Ausdruck bringen und den Text trotz allem lesbar machen, ohne alles zu „normalisieren“… Das waren die Fragen, die Übersetzer zeitgenössischer französischer Autoren damals beschäftigten. Bei Claude Simon musste man sich zum Beispiel mit Endlossätzen herumquälen. Bei Nathalie Sarraute waren es oft lexikalische Probleme. Sie hat einen so reichen Wortschatz.

Wie reagierte die deutsche Literaturwelt?

Die Reaktionen entnahmen wir den Kritiken und was wir von deutschen Freunden darüber hörten. Wir waren für viele eine Anlaufstelle in Paris, fuhren selbst aber nicht oft nach Deutschland und wurden davor gewarnt, kein „Emigranten-Deutsch“ zu schreiben. Deutschland hatte ein großes Nachholbedürfnis und war interessiert an allem, was an neuen Ausdrucksformen im Ausland erschien.

War es dennoch für Sie ein Vorteil, im Land Ihrer Autoren zu leben?

Gewiss. Sie kamen zu uns oder wir zu ihnen. Heute finde ich es besser, in Berlin zu leben. Wer interessiert sich in Frankreich für deutsche Übersetzungen?

Außer dem persönlichen Kontakt zu den Autoren – folgten Sie anderen Leitlinien?

Das Interesse für den eigentlichen Übersetzungsprozess entwickelte sich erst in den sechziger Jahren. Es förderte die Selbstbeobachtung. „Sprachgefühl“ und „aus dem Bauch-Übersetzen“ reichten allein nicht mehr aus.

So haben Sie angefangen, diesen Prozess festhalten zu wollen.

Mein Mann entwickelte eine Methode, Problemstellen und die Schritte zu ihrer Lösung festzuhalten, anfangs auf Karteikarten, ab 1980 mit einem Textverarbeitungssystem. Sicher gibt es längst ein Programm, mit dem das Aufzeichnen während des Übersetzungsprozesses ganz einfach geworden ist. Man kann sich interessante Beispiele wieder vergegenwärtigen und schafft sich so einen Fundus an eigenen Trouvaillen, die sonst im Nu vergessen sind.

Und später wieder gebraucht werden …

Ja, warum sollte dem Übersetzer nicht die letzte Seite eines Buches eingeräumt werden, um seine Freuden und Leiden am Text zu dokumentieren? Es zeigt Lesern und Kritikern, dass man sich die Arbeit nicht leicht gemacht hat, und es stärkt das Ansehen des Übersetzerberufs. Nie hätte ich über vierzig Jahre Literaturübersetzen schreiben können, wenn ich nicht so viel Material aus unserer Werkstatt um mich herum hätte, das gerade archiviert wird und demnächst einmal zugänglich gemacht werden soll.

Erika Tophoven: Glückliche Jahre. Übersetzerleben in Paris. Gespräche mit Marion Gees, Beiträge von Elmar Tophoven & Christian Linder, 160 Seiten, 22 Abbildungen, 17,90 Euro

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