Clemens J. Setz
Im Leben jedes Lesers gibt es einige wenige Bücher, die einen ungeheuren Einfluss auf ihn haben. Die ihn auseinandernehmen und neu zusammensetzen, einen Abgrund aufreißen zwischen ihm und der Person, die er war, bevor er dieses Buch gelesen hat. Die ihn befreien. Oder ihm zu einer Erkenntnis verhelfen. BÜCHER fragte Clemens J. Setz nach den wichtigsten Büchern seines Lebens.
1. Ernst Jandl: Laut und Luise
Das war, soweit ich mich erinnere, das erste Buch, das ich mir selbst gekauft habe und als solches gehört es natürlich in jede Liste „wichtigster Bücher“. Ich habe seither nie aufgehört, das Werk von Jandl zu lesen. Es gibt wahrscheinlich keinen deutschsprachigen Dichter, von dem ich mehr Zeilen und Gedichte auswendig kann.
Reclam Verlag, 159 Seiten, 4 Euro
2. Thomas Pynchon: Gravity’s Rainbow
Was wäre ich ohne die Geschichte von Byron der Glühbirne?
Random House UK, 768 Seiten, 9,30 Euro
3. Johann Peter Hebel: Die Kalendergeschichten
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, zu beschreiben, wie wunderbar die Poesie in diesen Geschichten ist, die noch klarer und sonderbarer aufleuchtet in den vielen kleinen Zwischentexten, die irgendwelche alltäglichen oder kosmischen Phänomene erklären, wie zum Beispiel den Kometen von 1811.
Insel TB, 148 Seiten, 7,50 Euro
4. Ivy Compton-Burnett: Darkness and Day
Das klarste Bild der in Familien aufgeteilten und gefangenen Menschheit in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Bei keinem Autor bzw. keiner Autorin lache ich mehr und unter merkwürdigeren Vorzeichen als bei der großartigen Ms. Compton-Burnett.
Littlehampton Book Services Ltd., 246 Seiten, vergriffen
5. William T. Vollmann: Rising Up and Rising Down
Völliger Irrsinn. Ein 3000-Seiten-Essay über die uralte Frage: Was ist Gewalt und wann ist sie gerechtfertigt? Enthält alles, von der Beschreibung der grausamsten Vorgänge auf Erden bis hin zu zartester Poesie, oft auf derselben Seite. Diesem Autor ist wirklich nichts Menschliches fremd.
Harper Perennial, 752 Seiten, 12,99 Euro
6. Knut Hamsun: Hunger
Ähnlich wie beim Lesen von Kafka oder Harold Brodkey habe ich bei der Lektüre von Hunger so vollkommen den Boden unter den Füßen verloren, dass – auch wenn das klischeehaft und kitschig klingen mag – mein ganzes Bewusstsein sozusagen ein General-Update erfuhr und ich mich tatsächlich kaum mehr an den Menschen erinnere, der ich vor der Entdeckung dieses Buches war. Wer weiß, ob es ihn überhaupt gegeben hat.
dtv, 368 Seiten, 9,95 Euro
7. Philip K. Dick: Kurzgeschichten
Science Fiction ist zweifellos die bedeutendste Literaturströmung des 20. Jahrhunderts gewesen, und ihr größter Poet ist Philip K. Dick. Er hat auch viele gute Romane geschrieben (Ubik; Flow my Tears, the Policeman said; A Scanner Darkly), aber der unverwüstliche Kern seines Werks sind für mich seine Short Stories.
Heyne, 832 Seiten, 12,95 Euro