Steinunn Sigurðardóttir
Im Leben jedes lesenden Menschen gibt es einige wenige Texte, die einen ungeheuren Einfluss auf ihn haben. BÜCHER fragte die isländische Autorin Steinunn Sigurðardóttir nach den wichtigsten Büchern ihres Lebens.
1. Hálldor Laxness: Weltlicht
Als Kind war ich eine Allesleserin. Ich begann, dieses Buch zu lesen, als ich fünf Jahre alt war, nachdem ich ein Kapitel daraus in einer Kinderzeitschrift gefunden hatte. Der Held wurde mein Seelenverwandter. Seither hat mich der Roman begleitet und immer wieder beeinflusst, da ich die verschiedenen Themen im Laufe meines Lebens immer besser verstand. Ich finde, dass die ganze Welt dieses extrem tragische und komische Buch über den Dichter Ólafur Kárason lesen sollte.
Steidl, 646 Seiten, 12 Euro
2. Shakespeare: Die Sonette
Ich verschlang sie mit 14 und 15, als meine Englischkenntnisse noch sehr begrenzt waren. Die Kraft der Worte, der Gedanken, der Ironie, der Zärtlichkeit und manchmal der Bitterkeit – einzigartiges Material vom wahrscheinlich größten literarischen Genie überhaupt.
dtv, 208 Seiten, 8,90 Euro
3. Antonia S. Byatt: Besessen
Dieses Meisterwerk ist einer von sehr wenigen Romanen, die einen meiner eigenen Romane verändert haben. Ich las es, während ich „Herzort“ schrieb.
insel taschenbuch, 636 Seiten, 9,95 Euro
4. Thomas Mann: Der Zauberberg
Ich las dieses Buch, als ich etwa 20 Jahre alt war, und ich war überwältigt von seiner Stärke und Vielfältigkeit. Bis heute ist Hans Castorps Liebeserklärung an Madame Chauchat einer der außergewöhnlichsten Texte, die ich jemals gelesen habe. Anscheinend war Thomas Mann selbst ziemlich zufrieden damit. In einem literaturwissenschaftlichen Essay mit dem Titel „Hans Castorp und Ólafur Kárason“ habe ich das seltsame Paar zusammengebracht.
Fischer Taschenbuch, 1008 Seiten, 13 Euro
5. Toni Morrison: Menschenkind
Während ich dieses Buch las, erkannte ich, dass ich nie verstanden hatte, was Sklaverei bedeutet. Morrison eröffnet eine völlig neue Perspektive auf dieses extrem wichtige Thema. Wie sie es schafft, dieses tragische Thema mit großartigem Humor zu behandeln, geht über meinem Verstand. Ihre Sprache ist hier, wie stets, unglaublich lebendig und völlig originell.
rororo, 400 Seiten, 9,90 Euro
6. Gustave Flaubert: Madame Bovary
Als ich dieses Buch las, wusste ich nicht, wie mir geschah. Jetzt verstehe ich, dass nicht nur Gustave Flaubert Madame Bovary ist – wir alle sind Madame Bovary. Die Präzision seines Stils ist vorbildlich. Schließlich geht es in Literatur und Kunst nicht zuletzt um Präzision.
Aufbau Taschenbuch, 404 Seiten, 9,95 Euro
7. J. M. Coetzee: Der Junge
Dieses Dokument einer Kindheit ist meines Wissens einzigartig in der Literaturgeschichte. Der Autor erinnert sich tatsächlich daran, wie es ist, ein Kind zu sein und kann es auch vermitteln. Seine sparsame Art, die immense Stärke kindlicher Gefühle zu beschreiben, nicht zuletzt die subversiven Gedanken eines Kindes, hat eine große Wirkung auf den Leser und bringt die eigene Kindheit zurück, die in Zeit und Raum verloren war.
Fischer Taschenbuch, 199 Seiten, 8,90 Euro