Bestseller-Verfilmung in Serie
Gestatten: Mørck und Assad vom Sonderdezernat Q
Mit „Erbarmen“ startet die Reihe
der Verfilmungen der dänischen
Kriminalromane von Jussi Adler-Olsen am 23. Januar im Kino.
Humor und Düsterheit – „Erbarmen“
Eine Laterne taucht eine nächtliche Straße in flackerndes gelbes Licht. Es ist ein unheimlicher Ort, an dem die Verfilmung von Jussi Adler-Olsens „Erbarmen“ beginnt. Er existiert indes lediglich in der Erzählung von Kommissar Carl Mørcks (Nikolaj Lie Kaas) Kollegen, der nachts nicht mehr schlafen kann, weil ihn das Flackern stört. Im Moment jedoch sitzen sie in einem Auto vor einem verdächtigen Haus. Mørck ist von der Geschichte genervt und trifft eine fatale Entscheidung: Sie warten nicht länger auf Verstärkung, sondern handeln allein. Wenig später ist sein schwatzhafter Kollege tot und sein bester Freund Hardy (Troels Lyby) schwer verletzt. Bereits mit diesen ersten Bildern schlägt der Film einen mit grimmigem Humor durchzogenen düsteren Ton an, den Regisseur Mikkel Nørgaard konsequent beibehält. Nach einigen Wochen kehrt Mørck in den Dienst zurück, obwohl er weiterhin unter einem nervösen Zucken in der Hand und seinem schlechten Gewissen leidet. Seine Schuld ist im Vergleich zur Romanvorlage eine andere – sucht er bei Jussi Adler-Olsen Schutz unter Hardys Körper, trifft er hier die Entscheidung, in das Haus zu gehen –, die Folgen sind indes gleich. Mørck wird von seinem Chef Jacobsen (Søren Pilmark) in die neu gegründete Sonderabteilung Q abgeschoben. Dort soll er mit seinem Assistenten Assad (Fares Fares) drei Fälle pro Woche möglichst effektiv abschließen, stattdessen beißen sie sich an einem Fall fest: Vor Jahren ist die Politikerin Merete Lynggaard (Sonja Richter) von einer Passagierfähre verschwunden. Der einzige Zeuge – ihr Bruder Uffe (Mikkel Boe Følsgaard) – ist geistig behindert und nicht vernehmungsfähig. Die damaligen Ermittlungen führten zu der Annahme, dass Merete Selbstmord begangen hat. Doch Mørck zweifelt an dieser Theorie und rollt den Fall noch einmal auf.
Vom 400-Seiten-Roman zum 97-minütigen Film
Als Film vereint „Erbarmen“ alle Qualitäten eines skandinavischen Thrillers: Er ist spannend erzählt, hat komplexe Charaktere, einen düsteren Plot und eine ausgeprägte Lichtsetzung. Als Literaturverfilmung überzeugt „Erbarmen“ hingegen vor allem mit der Mischung aus Nähe zum Werk und Eigenständigkeit im Film. Drehbuchautor Nikolaj Arcel, der bereits das Drehbuch zu der Stieg-Larsson-Verfilmung „Verblendung“ geschrieben hat, und Regisseur Mikkel Nørgaard halten sich an den Plot des Romans, mit notwendigen Kürzungen sorgen sie aber für eine wohltuende Verdichtung der Handlung und tragen zur Charakterisierung der Figuren bei. Beispielsweise spielt das frühere politische Umfeld von Merete kaum eine Rolle, lediglich ihre Assistentin wird befragt. Dadurch werden die Ermittler auf mögliche Verdächtige aufmerksam, zudem wird Mørcks ungeschickter Flirtversuch gezeigt und seinem Charakter eine weitere Facette hinzugefügt. Uffe wird nicht als Verdächtiger, sondern wichtiger Zeuge behandelt. Seine Flucht sowie die damit zusammenhängende mediale Hetzjagd auf Mørck bleiben daher aus, stattdessen wird eine vorsichtige Annäherung zwischen Assad und Uffe geschildert, die Assads Einfühlungsvermögen deutlich macht.
Außerdem straffen Arcel und Nørgaard die Vorlage durch eine Veränderung der Erzählstruktur. Im Film weiß der Zuschauer sehr früh, dass Merete in einem Drucktank gefangen gehalten wird und noch am Leben ist. Mit diesem einfachen, aber wirkungsvollen Erzählkonzept gelingt zweierlei: Es entsteht Spannung, da Mørck und Assad unwissentlich unter großem Zeitdruck ermitteln, und indem der Zuschauer Meretes Leidensweg mitverfolgt, nimmt er Anteil an ihrem Schicksal. Als Mørck und Assad dann in der zweiten Hälfte des Films dem Täter immer näher kommen, kreuzen sich die Handlungsstränge, die Spannung nimmt zu und der Zuschauer rekonstruiert mit den Ermittlern den Ablauf und die Hintergründe der Tat.
Verbrechen und Freundschaft
Für Nørgaard ist nach eigener Aussage die beginnende Freundschaft zwischen Mørck und Assad das Herzstück des Films, deshalb sind sie von Anfang an fast gleichberechtigt im Ermittlungsteam. Zudem ist die Figur Assad die größte – und gelungenste – Änderung gegenüber dem Roman. Im Film ist er nicht Mädchen für alles und mehr oder weniger als Hausmeister angestellt, sondern scheint wie Mørck Polizist zu sein, der aus bisher nicht bekannten Gründen in die Abteilung Q versetzt wurde, die für ihn ebenfalls die letzte Chance ist. Es wird angedeutet, dass auch Assad schlimme Dinge erlebt hat, jedoch lässt Faras mit seiner Körpersprache beständig erkennen, dass Assad dadurch nicht seine Lebensfreude und großes Herz verloren hat. Faras harmoniert sehr gut mit Hauptdarsteller Nikolaj Lie Kaas, der mit Jahrgang 1973 auf den ersten Blick etwas zu jung für die Rolle des Carl Mørck erscheint – schließlich arbeitet er im Roman bereits seit 25 Jahren bei der Mordkommission. Diese Bedenken werden jedoch schnell aus dem Weg geräumt. Sein Mørck ist ernsthaft, schlecht gelaunt, leicht depressiv und fühlt sich missverstanden. Und wenn er Assad in einem Restaurant gegenübersitzt, reicht Kaas ein Gesichtsausdruck, um die ganze Last erkennen zu lassen, die Mørck zu tragen hat. Dennoch ist „Erbarmen“ keine Buddy-Komödie, sondern ein sinisterer und brutaler Thriller. Nørgaard hätte noch deutlicher auf die seelischen Verletzungen aller Beteiligten zielen können, um sich von anderen Beiträgen des Nordic noir zu unterscheiden, aber insgesamt ist der Film spannend und unterhält. Dass er zudem im Kino sehr gut laufen wird, steht nahezu außer Frage. In Dänemark ist er bereits der erfolgreichste Film des Jahres 2013. (sh)
Jussi Adler- Olsen: Schändung
Übersetzt von Hannes Thiess
dtv, 464 Seiten, 9,95 Euro, als E-Book erhältlich
Hörbuch
Gelesen von
Wolfram Koch
443 Min./6 CDs, 24,99 Euro
Jussi Adler- Olsen: Erbarmen
Übersetzt von Hannes Thiess
dtv, 432 Seiten, 9,95 Euro, als E-Book erhältlich
Hörbuch
Gelesen von
Wolfram Koch
386 Min./5 CDs, 19,99 Euro