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Interview: Emily Walton | Fotos: Michael Paynter

Eoin Colfer

Der Zeitreisende, der die Bösen liebt

Nach seiner erfolgreichen Science-Fiction-Reihe „Artemis Fowl“ wagt sich Autor Eoin Colfer an eine neue Serie: „WARP“. Band eins: „Der Quantenzauberer“. Mit BÜCHER sprach der Ire über das London des 19. Jahrhunderts, über das Schreiben im Pferdestall und warum er Bösewichte am liebsten mag.

Herr Colfer, WARP steht für Witness Anonymous Relocation Program. Es geht also um ein Zeugenschutzprogramm, das seine Zeugen an einem sehr sicheren Ort versteckt: in der Vergangenheit. Woher kam diese Idee?

Ich glaube, dass die Grundidee, der Wunsch in die Vergangenheit zu reisen, tief in meiner Kindheit verwurzelt ist. Als Kind war ich ein Tagträumer. Ich habe mir oft ausgemalt, was passieren würde, wenn ich als Junge aus der Gegenwart in der Vergangenheit gestrandet wäre. Diese Träumereien haben mich wohl ziemlich eingenommen.

So sehr, dass Sie beschlossen haben, eine neue Serie zu schreiben?

Es war eigentlich gar nicht meine Absicht, eine Reihe daraus zu machen. Doch je tiefer ich in die Geschichte eintauchte und je besser ich meine drei Hauptfiguren, den Auftragskiller Albert Garrick, dessen Lehrling Riley und die junge FBI-Agentin Chevie, kennenlernte, desto mehr hat es mir Spaß gemacht. Ich liebe es, mich beim Schreiben in anderen Zeitzonen zu bewegen. Und ich hatte zu viele Ideen, um es bei einem Band zu belassen. Der zweite Teil ist bereits bei meinen englischen Lektoren.

„WARP. Der Quantenzauberer“ ist nun auf Deutsch erschienen. Das Buch spielt sowohl in der Gegenwart als auch im London des 19. Jahrhunderts. War es schwierig, beim Schreiben zwischen zwei Welten zu wechseln?

Ich wollte die Unterschiede zwischen heute und früher auch in der Sprache ausarbeiten. Die Stimme, mit der ich die Gegenwart erzähle, ist modern und flott, während jene für die Vergangenheit viel förmlicher ist. Die große Herausforderung war es, diese beiden Stimmen durchgängig aufrechtzuerhalten.

Die Recherche für ein solches Buch war bestimmt auch nicht einfach. Oder können Sie etwa in der Zeit reisen?

Ich beschäftige mich schon eine Weile mit dem London des 19. Jahrhunderts. Vor ein paar Jahren recherchierte ich für ein anderes Buch, das auch in dieser Zeit angesiedelt war, aber am Ende doch nicht in London spielte. Mein Verlag ist in London, ich bin also oft in der Stadt. Dann streune ich durch versteckte Gassen, besuche historische Häuser und natürlich auch Museen. In London gibt es viele Möglichkeiten, in die viktorianische Zeit einzutauchen: Man kann etwa eine Charles-Dickens-Tour machen oder die Katakomben besuchen. Wenn Sie möchten, kann man solche Unternehmungen „Zeitreisen“ nennen.

Haben Sie Lust, selbst in dieser Zeit zu leben?

Nein! Im 19. Jahrhundert muss es in London ganz schön hart gewesen sein: Es gab viel Kriminalität, viel Armut und außerdem muss die Stadt gestunken haben. Damals hätte ich nicht lange überlebt, glaube ich. Ich bevorzuge meine Heimat Irland im 21. Jahrhundert. Außerdem mag ich meinen Computer zu sehr.

Woher kommt Ihre persönliche Faszination für diese Epoche?

Ich habe in meiner Jugend Bücher aus dieser Zeit verschlungen: „Sherlock Holmes“, „Dracula“, Bücher von Robert Louis Stevenson und natürlich auch von Charles Dickens. Bill Sikes, der Bösewicht aus Oliver Twist, ist eine meiner Lieblingsfiguren. Die bösen, düsteren Charaktere haben mich immer schon beeindruckt.

Was macht aus Sicht eines Autors einen „gelungenen“ Bösewicht aus?

Gute Bösewichte haben Tiefe, sie sind nicht schlichtweg fies. Das sieht man bei Captain Hook aus „Peter Pan“ ganz gut: Einerseits ist er ein brutaler Pirat, andererseits ist er gebildet und hat Züge eines Gentlemans. Das macht ihn interessant. Ich habe mich bemüht, immer wieder die Motive meines Bösewichts – des Auftragskillers Albert Garrick – zu hinterfragen. Das war viel Arbeit, denn in meinen Erstentwürfen sind meine Charaktere meist nicht vollständig ausgearbeitet. Ich muss wieder und wieder über den Text gehen und ihnen Ecken und Kanten geben.

Wie sehr beeinflussen reale Personen Ihre Figuren?

Mal mehr, mal weniger. Die FBI-Agentin Chevie Savano ist eine pure Erfindung, der junge Riley aber ähnelt stark meinem jüngeren Sohn. Ich bin mit vier Brüdern aufgewachsen. Wenn es spaßige, komische Charaktere in meinen Büchern gibt, sind sie häufig an meinen Geschwistern angelehnt. 

Sie haben zwei Söhne. Probieren Sie an Ihren Kindern Ihre Geschichten aus?

Nein. Die Jungs sind zehn und 16. Sie haben Wichtigeres zu tun, als Dads Manuskripte zu lesen (lacht). Ich gebe meinen Text nicht aus der Hand, bevor ich ihn den Lektoren gezeigt habe. Sie geben mir das erste Feedback. Und zwischen der Abgabe und der Rückmeldung bin ich immer etwas nervös.

Haben Sie beim Schreiben Ihre Leser vor Augen?

Wenn ich schreibe, möchte ich in die Geschichte eintauchen. Ich versuche, so gut es geht, Gedanken an das Publikum und die Lektoren auszublenden. Denn sonst beginnt man, sich zu verbiegen, um anderen zu gefallen.

Die „Artemis Fowl“-Fans hätten gern noch mehr gehabt. Warum haben Sie die Reihe nach zwölf Jahren beendet? 

Ich hatte das Gefühl, Artemis Fowl ausgeschrieben zu haben. Ich wollte die Serie nicht künstlich in die Länge ziehen und meine Leser irgendwann langweilen. Aber ich hoffe, die „Artemis Fowl“-Freunde auch von „WARP“ überzeugen zu können. Und ich freue mich natürlich über neue Leser. Mir ist allerdings bewusst, dass ich mit einer neuen Reihe ein Risiko eingehe. Ich bin kein Promi. 

Bitte keine falsche Bescheidenheit. Ihre Bücher sind in 44 Ländern erschienen und weltweit über 18 Millionen Mal verkauft worden.

Zugegeben, ich fange nicht bei null an. Aber es ist nun einmal so, dass der Name Artemis Fowl deutlich bekannter ist als mein eigener. Ich bin nicht der Typ Schriftsteller, der im Rampenlicht steht. In Irland meide ich es, allzu oft im Fernsehen aufzutreten. Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich überall erkannt werde. Als ich in Amerika auf Lesereise war, war ich zu Gast im Frühstücksfernsehen. Danach wurde ich immer wieder auf der Straße angesprochen. Es hat mir nicht gefallen. Das hat mich ehrlich gesagt überrascht. Früher hätte ich gedacht, dass ich das toll finden würde.

Sie haben Ihren Namen angesprochen. Eoin ist kein Allerweltsname.

Bestimmt nicht. Eoin ist ein altmodischer Name, der selbst in Irland kaum noch vorkommt. Die wenigsten wissen, dass man ihn „Owen“ ausspricht. Ich habe mich daran gewöhnt, dass Leute mich stattdessen „Ian“ oder „Eon“ nennen. Es macht mir nichts. Ich fände es bloß schade, wenn Leser sich davon irritieren lassen. Es gibt Studien, dass Kunden in Buchhandlungen lieber zu Autoren greifen, deren Name sie aussprechen und sich leicht merken können. In manchen Ländern schreiben meine Verleger die Aussprache meines Namens auf den Buchdeckel.

Wer den Klappentext zu „WARP“ liest, könnte meinen, es sei eine Serie für Jungen. 

Ich denke, dass die Einteilung Mädchen- und Bubenlektüre überholt ist. In meiner Jugend haben die meisten Mädchen nur Geschichten über Ballett und Ponys gelesen. Das ist heute anders. Deswegen ist es mir wichtig, sowohl eine starke männliche als auch eine starke weibliche Hauptfigur zu haben. Bei vielen meiner Lesungen sind Mädchen in der Überzahl. Und manchmal sind sogar einige „ältere“ Mädchen darunter, also erwachsene Frauen. Das gibt mir Selbstvertrauen, auch in anderen Genres zu schreiben.

Sie haben früher als Lehrer an einer Grundschule gearbeitet. Hilft diese Erfahrung, um Jugendbücher zu schreiben?

Bestimmt. Als Lehrer siehst du, was Kinder bewegt und was sie langweilt. Die wichtigste Regel ist, nicht von oben herab auf Kinder einzureden. Du musst dich mit ihnen auf Augenhöhe begeben. Ich bin froh, dass ich noch viel Kontakt zu Kindern habe durch meine Lesungen. Ihre Weltansichten und ihre Fragen sind inspirierend.

Schreiben und Lesereisen: Bleibt da überhaupt Freizeit?

Im Alltag nicht viel. Ich schreibe zu gerne. Morgens bringe ich meine Söhne zur Schule, danach geht es an den Schreibtisch. Ich arbeite in einem  umgebauten Pferdestall im Garten. Dort kann ich kreativ sein. Früher habe ich es im Gästezimmer versucht, aber ich hatte zu wenig Ruhe. Mittags gönne ich mir ein Essen mit meiner Frau. Aber ansonsten kommen Pausen kurz. Manchmal denke ich, ich sollte mir mehr Auszeiten nehmen.

Jetzt, nach dem Kick-Off von „WARP“, wäre eine gute Gelegenheit.

Nein. Ich schreibe schon wieder weiter. Diesmal an einem Krimi.

Eoin Colfer: WARP – Der Quantenzauberer. Übersetzt von Claudia Feldmann. Loewe, 352 Seiten, 16,95 Euro, als E-Book erhältlich

Hörbuch
Gelesen von Rainer Strecker. Hörbuch Hamburg, 391 Min./5 CDs, 19,99 Euro

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