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Fotos: Stephanie Fuessenich

Interview: Axel Hacke über Fußballgefühle

"Hohe Wellen in einem flachen Becken"

Axel Hacke sieht sich selbst nicht als Fußballfan. Dabei handelt das neue Buch des Kolumnisten von Fußballgefühlen. Wie das zusammenpasst, erklärt er im Interview mit BÜCHER.

In „Fußballgefühle“ schreiben Sie gleich auf der ersten Seite, Sie seien kein Fußballfan, sondern ein Fußballfreund. Anschließend gestehen Sie, dass Sie sich vor dem Fernseher auch mal in Rage zu schimpfen, ins Stadion zu gehen und dort gemeinsam mit der übrigen Kulisse mitjubeln aber auch Spieler bepöbelt zu haben („Vidal, du Arschloch!“). Klingt für mich eher nach Fan, als nach Freund …
Axel Hacke: Ein Fan zu sein bedeutet für mich, sich dauerhaft und unaufhörlich mit Fußball zu beschäftigen. Dass man am Wochenende regelmäßig ins Stadion geht, immer die Sportschau guckt, auch zu den Auswärtsspielen seines Vereins fährt und unverbrüchlich, mit einem gewissen Fanatismus am Verein hängt. Das liegt mir nicht. Ich bin von meinem Naturell her ein zweifelnder Mensch. Mir fällt zu jedem Argument auch gleich das Gegenargument ein. Ich eigne mich daher nicht zum Fan. Ich mag den Fußball, sehe mir Spiele gerne an, habe aber auch ein paar andere Interessen. Also bin ich kein Fan, sondern ein Fußballfreund.

„Nur dabei statt mittendrin“ könnte man sagen. Haben Sie sich diese Distanz zum Fußball angeeignet, als Sie in den 1980ern als Sportreporter gearbeitet haben?
Die Distanz habe ich nicht, weil ich Sportjournalist war, sondern ich war Sportjournalist, weil ich die Distanz habe. Ich bin jemand, der Dinge oder Ereignisse gerne etwas zurückgestellt beobachtet und sich seine eigenen Gedanken darüber macht, als zu sehr involviert zu sein. Das entspricht einfach meinem Naturell. Als Sportreporter kann man nicht auf der Tribüne stehen und die Fahne des FC Bayern schwenken, das geht nicht.

Sie haben das Buch aber nicht aus der Sicht eines Sportreporters geschrieben …

Ich habe den Fußball eben in allen möglichen Rollen erlebt, das ist ja der Inhalt des Buches. Ich hatte als Kind jeden Tag auf der Straße den Ball am Schlappen, habe als Fußballjournalist gearbeitet. Ich war Reporter für die Seite 3 der Süddeutschen Zeitung und habe von der Weltmeisterschaft 1998 berichtet. Ich kenne den Fußball von der Tribüne und vom Fernseher. Dieser Positionswechsel findet sich im Buch wieder. Es gibt die Fußballgefühle eines Profis wie einst Klinsmann, eines Trainers wie Vogts, eines Fernsehzuschauers, eines Vereinsanhängers, eines Kindes, eines Mannes, der sich mit seiner Frau auseinander setzen muss und, und, und. Auch die Stilformen wie Essays, Glossen, Porträts, Reportagen wechseln ständig. Das war mir sehr wichtig und macht den Charakter des Buches aus. Schreiben ist nicht immer ein Vergnügen, aber „Fußballgefühle“ zu schreiben war eine große Freude.

Was ist Ihnen an Fußballgefühlen aufgefallen?
Das Besondere an den Fußballgefühlen ist, dass sie nicht sehr tief gehen, uns nicht wahnsinnig beschäftigen. Es sind sehr hohe Wellen in einem flachen Becken. Fußballgefühle schäumen unheimlich hoch: Man ist wahnsinnig wütend oder wahnsinnig froh über ein Spiel. Diese starke emotionale Beeinflussung hält aber nicht lange an, weil sie uns nicht so berührt wie die Liebe zu einem Menschen oder die Vertrautheit mit einem Freund. Diese Gefühle reichen viel tiefer. Fußball ist oft etwas, das an der Oberfläche stattfindet.

Wie schafft es Deutschlands Sport Nummer 1, uns zu Jubelstürmen oder Tränenausbrüchen zu treiben?
Es hat mit der Gemeinschaft der Menschen zu tun. Einen Sieg oder eine Niederlage erlebt man nicht alleine, das verstärkt die Gefühle. Fußball ist eine sehr starke Auseinandersetzung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft auf ganz verschiedenen Ebenen. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft sind gerade starke Emotionen doch heruntergedimmt worden. Dabei ist der Mensch ein aggressives Wesen. Im Fußball kann er sich auf eine hoch symbolische und ritualisierte Art und Weise ausleben.

… und über die Stränge schlagen wie so mancher Hooligan oder ein Jürgen Klopp.
Zum Wesen des Fußballs gehören Aggressionen. Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen. Dafür haben wir ein System aus vielen Regeln erfunden. Doch wo Regeln sind, werden sie auch überschritten. In jedem von uns wohnt so ein kleiner Hooligan. Aber wenn man ehrlich ist, halten sich die meisten Fans an diese Regeln. Und auch Jürgen Klopp ist eine Ausnahmeerscheinung. Wir haben es heute mit Spielern zu tun, die austauschbar sind und austauschbar sein sollen. Das gilt für ihre Leistung auf dem Platz als auch daneben. Ihre Aussagen und ihr Handeln sind sehr von Beratern, Managern und Trainern geprägt. Im Umgang mit den Medien sind sie geschult. Das müssen Sie aber auch sein, weil die Medien eine viel, viel größere Rolle spielen. Ein Spieler kann heute nicht mehr so drauflos quatschen wie früher.

Inwiefern hat sich der Fußball neben dem Rasen verändert?
Er ist auf der einen Seite und riesiges Geschäft und eine reibungslos funktionierende Maschine. Auf der anderen Seite ist er in der gesamten Gesellschaft präsent. In meiner Kindheit war Fußball eine Sache der Männer und einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht. Im Stadion des FC Bayern sitzen heute sowohl die ganz einfachen Leute als auch die Zahnärzte, Großverdiener und Unternehmenslenker. Da ist etwas passiert in unserer Gesellschaft, dass man einem Spiel eine solche Rolle einräumt.

Ab dem 12. Juni herrschen weltweit vier Wochen Ausnahmezustand, wenn die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien startet. Inwiefern beeinflusst die WM Ihr Leben?
Wenn Welt- oder Europameisterschaften stattfinden, habe ich keine Lesungen. Das hätte keinen Sinn: Erstens will ich selbst die Spiele sehen. Zweitens besteht die Frage, ob überhaupt jemand zu einer Lesung käme. In meinem Kalender steht schon heute, wann Deutschland gegen Ghana spielt. Aber das Leben geht natürlich auch während einer WM weiter. Ich muss ja arbeiten. Und um meine Familie kümmere ich mich auch. Im Zweifel sind mir meine Kinder und meine Frau wichtiger als ein Fußballspiel.

Wo und wie werden Sie die Spiele anschauen?
Das kann ganz unterschiedlich sein. Zum Beispiel bin ich 2006 zum Public Viewing gegangen, habe Spiele zuhause gesehen oder mit Freunden im Garten beim Grillen angeschaut. Ich finde es ganz schön, wenn etwas nicht immer gleich abläuft. Auch wenn ich den Fußball nicht so wahnsinnig ernst nehme, will ich mich schon ein bisschen darauf konzentrieren können.

Was stört Ihre Konzentration?
Wenn Leute dazwischenquatschen, die keine Ahnung vom Fußball haben oder so tun, als ob sie was davon verstünden. Das nervt, gibt’s aber leider immer wieder. Deswegen schaue Fußball am liebsten zusammen mit Freunden, von denen ich weiß, dass sie keinen Unsinn reden. Zum Beispiel sehe ich Fußball nicht so wahnsinnig gerne mit Frauen zusammen an. Wenn ich höre „Mensch, der Hummels, der sieht aber süß aus“, geht mit das in dem Moment eher auf den Wecker.

Ihre Prognose für das deutsche Team?
Ich hoffe natürlich, dass die Nationalmannschaft Weltmeister wird, weil sie einfach mal wieder dran ist. 1996, also vor fast 20 Jahren, hat Berti Vogts als Trainer zuletzt mit der deutschen Mannschaft die Europameisterschaft gewonnen. Und jetzt ist das Spiel der Deutschen eigentlich auf dem Zenit angekommen. Leider gibt es so viele Verletzte, Besorgnis erregend. Man kann nur darauf hoffen, dass sich die DFB-Elf während des Turniers positiv entwickelt, wie sie es schon so viele Male getan hat. Und dass Jogi Löw keine Fehler macht....

 

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