Literatur Lotsen
"maKULaTUR" aus Lübeck
Unsere Lieblingsbuchhandlungen stehen Frage & Antwort.
Diesmal: „maKULaTUR“ aus Lübeck.
Mit welcher Motivation eröffnet man im beschaulichen Lübeck eine auf Kunst und Architektur spezialisierte Buchhandlung?
Gut! Fangen wir mit der verfänglichsten der Fragen an. Das Modellhafte hat uns gereizt, die holzschnittartig herunter gebrochene Vorstellung von Stadt im landläufigen Sinn, zugespitzt auf die protestantische Silhouette: Dom, Kirche, Kloster, Rathaus, Hospital, eingekreist von Gewässer. Eine pointierte Vorlage, die sich ständig an den Merkmalen von Urbanität im 21. Jahrhundert reibt. Ein enges Netz an bürgerlichen Strukturen mit allen Möglichkeiten, die brachliegenden eingeschlossen. Eine davon haben wir wahrgenommen. In der Berliner Buchhandelslandschaft (aus der wir kommen) sind die Brachen hinreichend bewirtschaftet, da lockt keine Lücke mehr (übrigens ein Anagram auf LÜbECK).
Im Druckwesen ist eine „Makulatur“ ein fehlerhafter Papierbogen. Sie haben Ihre Buchhandlung so benannt. Warum?
In unserem Sprachgebrauch ist maKULaTUR ein Ausdruck von Wertschätzung. Man übersehe und verachte nicht die in der Wortmarke in großen Lettern sich plusternden Silben KULTUR. Die wiederum blieben ohne ein Umfeld von Ausschuss eine steile Behauptung. Konkret schweben uns die Probedrucke und unsauberen Andrucke vor, die das Einrichten der Maschine vor der Fertigung des Buches begleiten, optisch und im zufälligen Über- und Nebeneinander mitunter textlich reizvoll. Mit Blick auf die Gefährdung des Herstellungsprozesses und des Produkts. Irgendwann ist Makulatur das Schicksal jeden bedruckten Papiers. Und war es immer im Auf und Ab von Zeiten, Moden und Themen.
Inwieweit greifen Sie „Makulatur“ in ihrem Geschäftsbetrieb auf?
Wenn man annimmt, das alles Schreiben auf Geschriebenes zurück geht und jedes Buch aus anderen Büchern gemacht ist, dann ist jede Seite Teil eines mehrfach bedruckten Bogens, aus dem ein Text hervorsticht. Genau so wenig, und das ist einerseits ermutigend, gibt es ein unbeschriebenes Blatt: Text ist immer schon da, muss „nur“ herausgefiltert werden. Uns ist an den Beziehungen von Texten, Themen, Fächern und Fakultäten untereinander gelegen, an den Querverbindungen und am Geplauder, Gespräch und Gezerre zwischen den Zeilen.
Welche Mängel darf Literatur haben oder machen sie sogar interessanter?
Moralische.
Welches Buch haben Sie bewusst schon mal aus dem Sortiment genommen?
Das hin und wieder in wechselnder Verkleidung hereinschneiende Werhatdasdennbestellt-Buch.
Ihr Lieblingsbuch?
Gegenwärtig liest/liebt die eine: Am Fluss. Esther Kinsky, vielfach ausgezeichnet als Übersetzerin, versteht es, randständige Wahrnehmungen in einer Weise mitzuteilen, dass sie an ein zentrales Erleben rühren und im Versprengten, am peripheren Nicht-Ort einer Londoner Vorstadtgegend, annähernd eine Welt-Verfasstheit aufspüren (Matthes & Seitz 2014). Von der anderen (her)vorgezogen, nicht neu: Ernst Augustin, Eastend (C.H. Beck 2005). Ein Psychotherapeut im Bannkreis der Emotionen bzw. im Halbkreis der wohlmeinend-maliziösen therapeutischen Gruppe in der Münchener Schellingstraße, das Zwerchfell stützend, beherrscht und ausgeliefert, sehr komisch, sehr tragisch. Auf Londoner Nebenschauplätze ausweichend, unbehaust heimisch, pendelnd bis an die Grenzen des Zumutbaren und unerwartet zurück. Ein Ritt durch die Landschaften der Seele.
Ihr Romantipp, der Ihre persönlichen Interessen Kunst und Architektur perfekt vereint?
Kein Roman: ein bei Anton Pustet in Buchform erschienene Publikation zu einer Ausstellung des Architekturmuseums der TU München in der Pinakothek der Moderne, herausgegeben von Wilhelm Nerdinger: „Architektur wie sie im Buche steht“. Eine auf 570 Seiten, ja: konzentrierte, anregende Lektüre von fiktiven Bauten und Räumen in 120 Exempeln von Platon bis Pleschinski voll der ungesehensten Déja-Vues.
Welcher Titel ist der „Bestseller“ von maKULaTUR?
Eher ein Sujet als ein einziger Titel, angeführt von Judith Schalanskys ‚Atlas der abgelegenen Inseln’ (mare), gefolgt von etlichen Bänden der von ihr herausgegebenen und gestalteten Reihe ‚Naturkunden’ (Matthes & Seitz). Auch etwa ‚Rock the Shack – The Architecture of Cabins, Cocoons and Hide-Outs’ (Verlag Die Gestalten) – man möchte auf eine Vorliebe für den gehobenen Eskapismus schließen. Die wir teilen.
Die denkwürdigste Veranstaltung/Lesung oder Begegnung in Ihrer Buchhandlung?
Denkwürdig war da Einiges. Unangefochten die „Engführung“ eines literarischen und eines künstlerischen Zugriffs auf denselben entlegenen Ort: die verwaiste bzw. von Robben bevölkerte Walfängersiedlung Stromness im Südpolarmeer. Der Hamburger Schriftsteller Mirko Bonné und der Londoner Künstler Simon Faithfull sind zu unterschiedlichen Zeiten als Artists in Residence in die Antarktis geraten. Wir sind mit dem Autor und der Videoarbeit ausgewandert, wie wir das unter dem Label maKULaTOUR manchmal tun, diesmal in den Pavillon des Kunstvereins.
Sie fahren zur Frankfurter Buchmesse, welchen Verlagsstand steuern Sie als erstes an?
Sagen wir: den Kehrer-Verlag steuern wir an. Programm und Buchgestaltung werden von Jahr zu Jahr interessanter. Und den alten Freund Kurt Salchli möchten wir da zuallererst antreffen. Aber leider: wir können nicht weg.
Sie bekommen die Gelegenheit mit dem Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels ein paar Worte zu wechseln. Was sagen Sie ihm?
Man möge die Branche nicht unterschiedslos mit kostspieligen abgeschmackten Werbeaktionen überziehen.
Dieses Jahr ist Finnland das Ehrengastland der Buchmesse. Ist Ihnen finnische Literatur vor 2014 schon mal über den Weg gelaufen?
Eine Herausforderung für das Namensgedächtnis. Tove Jansson, nun ja. Nachforschend: Literatur nicht merklich, aber im Design und im Film (dank der Nordischen Filmtage vor unserer Tür), vor allem in der Fotografie ist uns Einiges untergekommen, was mit dem kuratorischen und publizistischen Echo auf die Helsinki School von Oslo über Lübeck (aber ja, ausgestellt in der Overbeck-Gesellschaft) bis Tokyo zu tun hat – Tiina Itkonen, Anni Leppälä, Janne Lehtinen, Riitta Päiväläinen, Pentti Sammallahti um nur einige zu nennen.
maKULaTUR
Spezialisierung und Vielseitigkeit sind keine Widersprüche: Birgit Böhnke (Foto li.) und Regina Giese eröffneten ihre Buchhandlung maKULaTUR 2002 mit einer umfangreichen Auswahl an internationalen Büchern und Ausstellungskatalogen zu Kunst, Kulturgeschichte, Fotografie, Architektur und angrenzenden Gebieten. Ein Sortiment ausgewählter Belle-tristik und Philosophie ergänzt das spezialisierte Programm.
Hüxstraße 87, 23552 Lübeck, makulatur.com