Ein Frühling in Tschernobyl
BILDER UND WELTEN
Informationen: , 29.8 €
Verlag: Splitter
Rezension
Kahlköpfige Strahlenkranke, Liquidatoren in nutzlosen weißen Schutzanzügen, die verstrahlten Schutt in ein Loch im Reaktordach schaufeln, Kinder, in deren Köpfen Tumore wachsen, Tiere mit zu vielen, grotesk verformten Gliedmaßen - das sind die Bilder, die wir mit dem GAU in Tschernobyl verbinden. 22 Jahre nach der Katastrophe schickt Dessin'Acteurs, eine Vereinigung politisch engagierter Zeichner, Emmanuel Lepage für zwei Monate in eine Künstlerresidenz in Wolodarka. Der Ort hat 300 Einwohner und liegt zwanzig Kilometer außerhalb der verbotenen Zone. "Diese vernichtende Gegend", schreibt Lepage, "flößt mir eine heilige Furcht ein." Die Künstler dringen in die verlassene Stadt Prypjat vor, Lepage zeichnet die aufgesprungenen Straßen, das ewig unberührte Riesenrad, das am 1. Mai 1986 in Betrieb genommen werden sollte, eine verlorene Puppe. Er arbeitet mit Kohle, er arbeitet schnell. Der Geigerzähler tickt wie der Wecker im Bauch des Krokodils, das in "Peter Pan" unablässig Käpt'n Hook verfolgt. Es ist das Geräusch des nahenden Todes. Lepage trinkt und musiziert mit den Bewohnern von Wolodarka, unterhält sich mit Plünderern und Arbeitslosen, spielt mit den Kindern, beobachtet, wie die Natur das Gelände zurückerobert - und wird ratlos. Die Gefahr, die zu zeichnen man ihm aufgetragen hat, ist unsichtbar. "Wo sind die Monstren?" Zarte Aquarelle entstehen, Ölkreidezeichnungen in kräftigen Farben. Lepage zeigt uns das ausgezehrte Gesicht eines ehemaligen Liquidators, aber auch frühsommerliche Wälder und lachende Kinder, die Arme voll gelber Blumen. "Meinst du", fragt er seinen Kollegen Gildas Chasseboeuf, "man könnte sagen, ,Tschernobyl ist schön'?" Die vorliegende Reportage ist ein Versuch, ein Produkt aus Reflexion und Zweifel. Und sehr, sehr schön.
(ed)Kurzbeschreibung
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