Sexuelle Probleme treiben Menschen in Abgründe – und zum Psychiater. Der junge Londoner Schauspieler Lysander Rief, Held in William Boyds Roman „Eine große Zeit“, macht sich 1913 aus diesem Grund auf nach Wien. Die Heimatstadt der Psychoanalyse bietet sich dem Hilfesuchenden allerdings nicht als „schönes Sanatorium“ dar, sondern wird ihm zur Falle: Lysander gerät in die Fänge einer Femme fatale, der drogensüchtigen Künstlerin Hettie Bull. Von dieser als Vergewaltiger verleumdet, entzieht er sich der Justiz durch Flucht. Der Preis ist hoch und führt nicht in die Freiheit, sondern in einen Teufelspakt mit britischen Agenten. Es folgt eine wilde Spionagetour durch das vom Krieg erschütterte Europa, ein Drahtseilakt zwischen Freund und Feind, Wahrheit und Lüge.
Lysanders „Autobiografische Aufzeichnungen“ – ein auf Rat des Wiener Psychiaters geführtes Seelenjournal – weist in die Tiefen der menschlichen Psyche. Der komplexe Plot der Geschichte erschließt sich sowohl aus der Erlebenschronik des Helden als auch aus der Perspektive des auktorialen Erzählers. Dass der Leser dabei auf die eine oder andere falsche Fährte geführt wird, entspricht der Tradition des Genres Spionageroman.
(wal)
»Im Morgenlicht wahr und mittags eine Lüge« Ernest Hemingway
Europa am Rande des Abgrunds: Überstürzt muss der Schauspieler Lysander Rief Wien verlassen und gerät mitten in die ersten Kriegswirren. Psychoanalyse, Erster Weltkrieg, Spionage — nie ist William Boyd spannender, nie zwingender gewesen.
Wien, 1913. Lysander Rief, ein aufstrebender junger Schauspieler, hat alle Zelte in London abgebrochen und sich nicht zufällig in die Stadt Sigmund Freuds begeben. Vor seiner Hochzeit muss er sich einem delikaten Problem stellen. Doch als er im Wartezimmer von Dr. Bensimon Hettie begegnet, weiß er sofort, diese unergründlichen braungrünen Augen werden ihn nicht mehr loslassen.
Hettie Bull öffnet ihm alle Türen zum ausschweifenden Wiener Künstlerleben, sie betört, umgarnt und blendet ihn und drängt ihn in ein undurchschaubares Spiel, das ihn zur Flucht aus Wien und in die Arme zweier britischer Agenten treibt. Boyds neuer Roman ist eine Erkundung der Tiefen menschlicher Psyche und ein Spionageroman zugleich. Mit meisterlicher Hand entwirft Boyd einen Kosmos, der die Unruhe und Rastlosigkeit einer Epoche zeigt, den schmalen Grat zwischen Brillanz und Scheitern. Eine große Zeit ist aber nicht allein ein Parforceritt durch Europa und die Kriegswirren des Ersten Weltkriegs, es ist ein großer wahrhaftiger Roman, den der Autor uns zu seinem 60. Geburtstag schenkt.
Patricia Klobusiczky, 1968 in Berlin geboren, studierte Literaturübersetzen, arbeitete lange Jahre als Lektorin für Rowohlt und ist seit 2006 freie Über setzerin, Moderatorin und Lektorin. Sie übersetzte Werke von u. a. Lorrie Moore, Francis Itani und Louise de Vilmorin.