Unsere schönen neuen Kleider
SACHBÜCHER
Informationen: , 10 €
Verlag: Hanser
Rezension
„Aber der Kaiser hat ja gar nichts an!“ Fast jeder glaubt zu wissen, wie Hans Christian Andersens „Des Kaisers neue Kleider“ ausgeht. Ein kleines Kind entlarvt den pompösen Schwindel, als der Kaiser sich auf der Straße zeigt. Ingo Schulze hat das Märchen als Allegorie auf gegenwärtige Zustände gelesen – schließlich sei doch offensichtlich, was schief läuft: „die beständige Schwächung der Demokratie, die zunehmende soziale und ökonomische Polarisierung in Arm und Reich, der Ruin des Sozialstaates, die Privatisierung und damit Ökonomisierung aller Lebensbereiche“ und manches mehr. Als besonders verräterisch gilt ihm dabei Angela Merkels Rede von der „marktkonformen Demokratie“. Das ist nicht neu, gibt Schulze zu, wichtiger ist ihm die Revitalisierung der Öffentlichkeit, denn: „Wir sind der Souverän, im Märchen also der Kaiser“, der Betrügern aufsaß. Nur dass die sympathischer waren als die Finanzjongleure heutzutage. Doch die Pointe des Märchens besteht in der Reaktion des Kaisers, nachdem das ganze Volk die Lüge ausgesprochen hat: „Nun muss ich aushalten.“ Und dann geht er, zunächst einmal, einfach weiter.
(jep)