Was beim Übersetzen mit den Titeln geschieht
Du Jane, ich Goethe
Ist ein Buch erst einmal übersetzt, dann geht es seinen letzten Weg durch den Verlag: Es wird lektoriert, mit Layout und Klappentext versehen und – es erhält einen deutschen Titel.
Hätten wir Harper Lees Klassiker „Wer die Nachtigall stört“ auch so verschlungen, wenn er im Deutschen – ähnlich dem Original – „Eine Spottdrossel töten“ hieße? Oder ist er gerade deshalb das perfekte Jugendbuch, weil die Nachtigall, die ja im Deutschen nur gestört, nicht getötet wird, die Lektüre romantisch verklärt? Würden wir Jean-Paul Sartres Theaterstück „Huis clos“ unter dem Titel „Unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ quasi als Gerichtsverfahren verstehen statt als Geschlossene Gesellschaft, d.h. einer Geselligkeit, zu der man zunächst ganz gern dazugehören möchte und die sich erst später dramatisch zuspitzt? Und hätte uns ein Meister der interessanten Titel, John Irving, mit seinem Buch „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ ebenso berührt, wenn es weniger schicksalhaft-moralisierend als „Die Regeln der Mosterei“ („The Cider House Rules“) betitelt wäre?
Ein Titel drückt einem Buch seinen Stempel auf und prägt uns, wenn wir es lesen. Deshalb gibt es Anleitungen und Seminare für Autoren, wie man einen guten Titel findet. Doch wenn es um die Übertragung ins Deutsche geht, werden die Übersetzer, die ihr Buch ja am besten kennen, selten gefragt; deutsche Titel werden meist von Lektoren, der Vertriebsabteilung und manchmal auch den Verlagsvertretern gemacht.
Es gibt natürlich die geradlinig übersetzten Titel, so wie J.D. Salingers „Der Fänger im Roggen“ und Jane Austens „Verstand und Gefühl“ oder „Vernunft und Gefühl“, wobei hier der Film von 1995 als „Sinn und Sinnlichkeit“ und somit unter einem dem Original („Sense and Sensibility“) näheren Titel bekannt wurde. Doch manchmal, so denkt man sich wohl, lassen sich Bücher mit einem Titel noch etwas aufpeppen, gerade auch Sachbücher. So wurde aus Guy Deutschers „The Unfolding of Language“ im Deutschen „Du Jane, ich Goethe. Eine Geschichte der Sprache“, was die Kritik wahlweise als sexistisch, poppig, albern, reichlich schrill oder gewollt bezeichnete. Und fast könnte man meinen, je größer der Verlag, desto abenteuerlicher die Titel, desto mehr deutscher Goethe gegenüber dem Original Jane?
Die pathetischen Titel der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson haben zu deren Erfolg hierzulande sicherlich beigetragen: „Verblendung“, „Verdammnis“, „Vergebung“! Doch womöglich wird damit die eigentliche Absicht des Autors verkannt, der seine Krimis wohl eigentlich eher als Kritik an einer frauenfeindlichen und kommerzialisierten Gesellschaft angelegt hatte – eine Lesart, die das schwedische Original, wörtlich: „Männer, die Frauen hassen“, „Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte“ und „Das Luftschloss, das gesprengt wurde“, durchaus zulässt.
Das Börsenblatt des deutschen Buchhandels vergibt übrigens seit 2008 einen Preis für den kuriosesten Buchtitel, so 2010 an „Zehn Tipps, das Morden zu beenden und den Abwasch zu beginnen“ von Hallgrímur Helgason. Einfach nur wörtlich aus dem Isländischen übersetzt und doch jubilierte die Jury: „Der Titel... steckt gewissermaßen eine sprachliche Prilblume in die Pistolenmündung. Schwerter zu Abwaschbürsten!“ Na, geht doch.
Jane Austen: Vernunft und Gefühl. Übersetzt von Ruth Schirmer. btb, 448 Seiten, 9,99 Euro
John Irving: Gottes Werk und Teufels Beitrag. Übersetzt von Thomas Lindquist. Diogenes, 736 Seiten, 26,90 Euro
Harper Lee: Wer die Nachtigall stört …. Übersetzt von Claire Malignon. rororo, 528 Seiten, 10 Euro