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Verhinderte Bestseller: Stefan Volk (smv)

Vier Männer. Einer wird die Nacht nicht überleben.

Martin Gülich: Septemberleuchten

Mit seiner quälenden Schilderung eines Mordes aus Tätersicht erzeugt Martin Gülich in „Septemberleuchten“ mehr Spannung und kaltes Grausen als die meisten Thriller mit ihren schier endlosen Mordfestivals – nur mit deren Erfolg kann er nicht mithalten.

Hässlich, aber doch verführerisch: so stellt man sich das Böse gerne vor. Tatsächlich zeigt es sich oft erschreckend profan. In Gestalt penibler Bürokraten oder willfähriger Mitläufer. Einem solchen erteilt der Freiburger Autor Martin Gülich in „Septemberleuchten“ das Wort. Kron, sein Protagonist, war mit dabei, als in einer lauen Septembernacht am Ufer eines kleinen Badesees ein Mord verübt wurde. In Gülichs Roman gibt er akribisch zu Protokoll, wie sich das, was als ein netter Grillabend zu viert geplant war, für einen der Beteiligten zur Tortur entwickelte. Gülich gibt die Aussage seines Kron-Zeugen durchgängig in indirekter Rede wieder, was seinen Bericht auf perfide Weise „sachlich“ klingen lässt. „Das Heulen des Mannes sei irgendwann in ein leises Klagen übergegangen und schließlich ganz verstummt“, heißt es da lakonisch über das Martyrium des namenlosen Opfers.
 
Je länger Kron sich erinnert, desto deutlicher zeichnet sich unter seinen bagatellisierenden Schilderungen das wahre Ausmaß der Grausamkeiten ab. Entsetzlich munter lässt er sich über den Männerabend aus. „Nach Gerlands zweiter Ohrfeige sei zunächst einmal gar nichts geschehen. Der Mann habe stumm an seinem Platz gesessen, und auch er, Kron, habe nicht mehr getan, als neues Holz ins Feuer zu werfen und den züngelnden Flammen zuzusehen. Er habe dies genossen wie wenig anderes an diesem Tag, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man den ganzen Abend genau so verbringen können, gemeinsam an der Feuerstelle sitzend, den Blick in die Flammen gerichtet, jeder bei sich und seinen Gedanken, nicht das Geringste hätte ihm gefehlt.“
 
Nur beiläufig streift Kron das Verbrechen. Dabei drückt er sich so gewählt und geziert aus, als könne er seine Schuld wegformulieren. Es sei eben nicht nach ihm gegangen, unterstellt er in seinem Bericht. Die beiden anderen, Gerland und Vanek, hätten den Mann immer wieder malträtiert, sich zwischendurch angeblich wieder mit ihm versöhnt, bis sie schließlich die „schlechte Laune“, die das Opfer verbreitete, nicht mehr ertrugen. Am Ende sei der Mann reglos in einem Loch in der Erde gelandet. „Dann jedoch sei Folgendes geschehen: Der Mann habe sich bewegt. Eine kaum merkliche Regung seiner rechten Hand, ein Zucken, ein letztes Zeichen hinaus in die Welt. Gerland habe dies mit den Worten ‚Tote winken nicht’ abgetan und von postmortalen Muskelkontraktionen gesprochen, die es, er, Kron, habe dies zu Hause nachgeschlagen, tatsächlich gebe. Hier am See, am Grab des Mannes, habe er hiervon jedoch nichts gewusst, weswegen er sich geweigert habe, am Zuschütten des Mannes mitzuwirken, (…) erst als man das zugeschüttete Grab mit losem Blattwerk begonnen habe zu tarnen, sei er Gerland und Vanek noch einmal zur Hand gegangen, aber da sei es für den Mann ja ohnehin zu spät gewesen.“
 
Kron erzählt dies alles in der zynischen Sprache jener Täter, die ihre Verantwortung auf schicksalhafte Umstände oder andere abwälzen. Diesen Ton trifft Gülich so genau, dass es kaum auszuhalten ist. Gleichzeitig aber spielt er derart geschickt mit den Mitteln der Suspense, dass man den Roman auch nicht aus der Hand legen kann. Das ist großartige Literatur, die fesselt und wehtut. Schmerzlich ist auch, dass dieses Kleinod deutscher Sprachkunst bislang nicht mehr Beachtung fand und in der Schwemme zynisch bis albern blutrünstiger Thriller und gewollt authentischer Zeitromane weitgehend unterging. „Septemberleuchten“ klammert sich an keine „wahren Begebenheiten“, keine historische Epoche. Es ist ein zeitloser Roman über Sündenböcke, Schuld und Verdrängung. Er handelt nicht vom 3. Reich, nie ist darin von Nazis die Rede, dennoch bringt er einem der Antwort auf die Frage „wie war das möglich“ einen schrecklichen Schritt näher.

Martin Gülich: Septemberleuchten. Nagel & Kimche, 130 Seiten, 14,90 Euro

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