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Themenwelt

FRAUEN AN DER KRIMIFRONT

Frauenkrimis als Hörbücher

Von Dorothy L. Sayers bis Tess Gerritsen, von Agatha Christie bis Val McDermid: Seit gut 90 Jahren sorgen Kriminalautorinnen für Furore.

Es fing alles an mit Dorothy L. Sayers und einigen anderen engagierten Autorinnen, von denen heute einige wie Josephine Tey, Margery Allingham oder Patricia Wentworth zu Unrecht kaum mehr bekannt sind. Was diese Damen, die alle aus dem englischsprachigen Raum stammten und Ende des 19. Jahrhunderts geboren wurden, miteinander verbindet, ist, dass sie dem Kriminalroman neue Impulse verliehen. Sie führten den Charakter eines Ermittlers meist aus gutem Haus ein - Vorbild später für Elizabeth George und Martha Grimes - und ließen ihre Detektive oder auch weiblichen Spürnasen (die erste im Bunde war Maud Silver von Patricia Wentwoth, Vorbild für Agatha Christies Miss Marple) weniger mit Hilfe der Forensik Fälle lösen als mit dem gesunden Menschenverstand. Mehrere Jahrzehnte prägten die Romane dieser Damen, deren erfolgreichste Agatha Christie werden sollte, das Bild von der englischsprachigen Kriminalliteratur - und übertrafen ihre männlichen Konkurrenten, auch wenn Eric Ambler ("Die Maske des Dimitrios") oder John Buchan ("Die 39 Stufen") durchaus ein breites Leserpublikum fanden.
Nach wie vor gibt es auffallend viele Kriminalschriftstellerinnen, die auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Genre umgehen - und das nicht nur in englischsprachigen Ländern, auch wenn dort die Damen weiterhin das Sagen haben, mit Val McDermid, Minette Walters und Mo Hayder diesseits des Ozeans und Tess Gerritsen, Patricia Cornwell, Kathy Reichs, Sara Paretsky, Mary Higgins Clark und Jo Fielding in den USA. Auch in Skandinavien blüht die Kriminalliteratur aus weiblicher Feder. Man denke nur an Liza Marklund, Anne Holt und Helen Tursten, um nur einige Beispiele zu nennen. In Deutschland sind es neben anderen Ingrid Noll, Elisabeth Hermann, Gisa Klönne, Sabine Thiesler, Susanne Mischke und Anne Chaplet. Weltweit erfolgreich sind auch die Romane der studierten Archäologin Fred Vargas, und jedes Jahr im Juni erscheint der jeweils jüngste Roman der in Venedig lebenden Donna Leon, die längst zu den liebsten Krimiautorinnen der deutschen Leser zählt.

Das Faszinierende an dieser großen Schar ist ihre thematische und stilistische Vielfalt. Da gibt es Mystery, Crime Novel, Thriller, Detektivromane. Das klassische "Whodunnit?" der ersten Ladies of Crime ist längst anderen Fragestellungen gewichen. So verknüpft selbst eine eher der Tradition verbundene Autorin wie P. D. James die Frage nach dem "Wer war es" auch mit dem "Warum?" und vor allem der Frage nach Schuld und Sühne. Selbst Val McDermid, die vor detaillierten Schilderungen von Serienmorden nicht zurückschreckt, interessiert sich mehr für psychologische Aspekte und für das Motiv einer in die Gegenwart reichenden Vergangenheit als für bloße Darstellungen von Bluttaten. Ruth Rendell, die, ähnlich wie P. D. James, Schauplätze, Milieu und Motive genau beleuchtet und unter dem Namen Barbara Vine Psychodramen veröffentlicht, ähnelt in ihrer Methodik gelegentlich ihrer amerikanischen Kollegin Patricia Highsmith, der es auch mehr um die Seele des Täters denn um die polizeilichen Ermittlungen oder gar um die gerechte Bestrafung des Täters ging. Ingrid Noll sieht in der Charakterisierung des Täters auch oft den größeren Reiz als im Triumph des Gesetzes - ohnehin oft ein fragwürdiges Problem. Anne Granger und Ann Perry dagegen, die sich dem historischen Kriminalroman zugewandt haben, der in einer Epoche spielt, da es noch keine DNS-Analysen und andere CSI-Hilfsmittel gab, sehen den Reiz ihrer Geschichten in der Lösung der Fälle durch die Intelligenz ihrer Ermittler. 

Serienmörder und Psychopathen, Täter, die aus den uralten Motiven morden, die P. D. James als "die biblischen Todsünden mit ewiger Gültigkeit" bezeichnet, auch Wirtschaftsverbrecher, Umweltsünder: Sie alle haben ihren Platz in den Kriminalromanen der Autorinnen gefunden. Familiendramen erfreuen sich dabei noch immer großer Beliebtheit, was an der Gabe von Frauen liegt, wie Minette Walters sagt, "sich genau in die Psyche von Betroffenen hineinversetzen zu können, vor allem von Kindern und Frauen, den klassischen Opfern". Doch längst lassen Autorinnen auch Frauen morden, wie Minette Walters das in "Die Bildhauerin" vorgeführt hat, Liza Marklund in "Lebenslänglich" oder P. D. James in "Der makellose Tod". "Frauen sind keine besseren Menschen als Männer", sagt Val McDermid. "Im Gegenteil - ihre Motive für Mord sind oft viel spannender als die ihrer männlichen Killer-Kollegen."

Was unterscheidet nun die Romane der Damen im Krimigewerbe von den Publikationen ihrer männlichen Kollegen? Früher, zu Zeiten einer Dorothy L. Sayers oder Agatha Christie, war das einfacher. "Das genaue Gespür für Unterhaltung mit Tiefgang und Humor, die sorgfältige Charakterisierung von Schauplätzen, Figuren und Motiven und letztlich die Vermeidung von überflüssiger Grausamkeit, von Brutalität um jeden Preis und auch der Versuch, einen Ermittler zu zeigen, der moralisch über den Verbrechern steht - das waren alles typische Elemente für die Romane von Frauen", beschreibt es P. D. James. Das hat sich allerdings geändert, seit auch Frauen Psychopathen morden lassen wie Val McDermid in den Tony-Hill-Romanen, seit der pure Wahnsinn geschildert wird wie in Mo Hayders "Die Sekte", oder Karin Slaughter in "Gottlos" und "Zerstört" brutale Killer ins Rennen schickt. Dennoch, so sagt Val McDermid, gibt es Themen, die weibliche Autoren mehr interessieren als andere. "Das sind in der Tat oft Dramen mit Familienhintergrund und weniger die weite Welt des Wirtschaftsverbrechens und der Industriebosse, das sind Geschichten um Verrat und Emotionen. Wichtig ist dabei, dass selbst in den härtesten Szenen die Menschlichkeit, das Mitgefühl nicht ganz verloren gehen. Was nützt mir die spannendste Geschichte nur um des vordergründigen Effektes willen?"
Dass in dieser Hinsicht der weiblichen Krimiriege der "Nachwuchs" nicht ausgeht, zeigt eine Autorin aus Irland: Tana French, die mit "Grabesgrün" 2007 einen der besten Debütromane der letzten Jahre vorgelegt hat, beweist in ihrem jüngsten Roman "Totengleich", dass sich die Ladies of Crime um ihre Zukunft nicht sorgen müssen.